«Sanieren ist nachhaltiger als neu bauen.»

Eine Neubauwelle überrollt unser Land. Die Ersatzneubauten werden meist mit der notwendigen Verdichtung des Siedlungsraums begründet. Aber es gibt auch andere Motive. …

… Neubauten sind einfacher zu planen, einfacher zu bewilligen als Umbauten und Sanierungen von hoher Eingriffstiefe. Die Kosten sind einfacher zu kalkulieren, der Bauprozess ist eingeübt und die Erwartungen der späteren Mieter oder Käuferinnen sind bekannt. Dafür wird oft Vielfalt durch Langeweile ersetzt, heutzutage zum Beispiel alles grosse Fenster und zurückspringende Attikageschosse, so wie es der jeweilige Zeitgeist gerade will.

Höhepunkt der Wegwerfmentalität

Der Abbruch der Bauten des 20. Jahrhunderts kann als Höhepunkt unserer Wegwerfmentalität gelten. Viel wertvolles Material wird entsorgt, Beton und Backstein halten deutlich länger als fünfzig oder siebzig Jahre. Neubauten brauchen eine Baugrube, das Aushubmaterial wird per Lastwagen weggefahren. In den in wasserdichtem Beton ausgeführten Untergeschossen steckt mindestens gleich viel graue Energie wie im ganzen oberirdischen Baukörper. Die CO2-Bilanz von Untergeschossen ist miserabel. Die Baukosten pro Kubikmeter von unterirdischen Bauteilen sind gleich hoch wie die des darüberliegenden Wohnraums. Tiefgaragen haben nicht nur einen hohen Flächenbedarf, sondern beeinträchtigen auch eine natürliche Gestaltung der Freiräume. Bei Umbauten sind hingegen all diese Bauteile schon da, ihre graue Energie ist schon abbezahlt. 

Sanierungen mit Vorteilen

Selbstverständlich müssen auch Sanierungen zur Verdichtung beitragen. Erweiterungen und Aufstockungen sind das Mittel, um die volle Ausnützung zu erreichen. Praktisch alle vorhandenen Bauten können mit einer leichten Holzbauweise um ein bis zwei Geschosse aufgestockt werden. Fantasie ist von allen Beteiligten gefordert. Architekten müssen die Bedürfnisse der Bauherrschaft und die vorhandene Bausubstanz in Übereinstimmung bringen, Ingenieurinnen müssen die erforderliche Erdbebenertüchtigung lösen. Vor allem müssen die Behörden neue, unkonventionelle Lösungen zulassen. Je nach städtebaulichem und architektonischem Kontext kann das architektonische Thema der Sanierung «Weiterbauen» oder «Kontrast» heissen.

Sanierungen sind auch hinsichtlich Betriebsenergie nicht im Nachteil. Mit Erweiterungen kann das Bauvolumen oft kompakter gestaltet werden. Für die zusätzliche Wärmedämmung sind viele Materialien und verschiedene Systeme auf dem Markt. Energetisch ungenügende Elemente des Altbaus können in der Energiebilanz mit hochwertig gedämmten Neubauteilen kompensiert werden. Moderne, klimaneutrale Energiesysteme mit Erdwärme und Solarenergie sind genauso wie beim Neubau einsetzbar. Solaranlagen auf Dach und Fassaden erfordern eine höhere planerische Sorgfalt, liefern aber den gleichen Energieertrag. 

Die unterschiedliche Lebensdauer der verschiedenen Bauelemente ist zu beachten. Wasserleitungen müssen voraussichtlich alle 50 Jahre ersetzt werden, Heizleitungen hingegen halten gut hundert Jahre. Systemtrennung, Zugänglichkeit und Ersetzbarkeit sind die Stichworte für nachhaltige Gebäudeerneuerungen.

Re-Use und Re-Cycle sind nicht neu

Während Jahrtausenden sind Gebäude umgebaut, angepasst und erweitert worden, da Material kostbar und Bauen schon immer teuer war. Re-Use und Re-Cycle sind keine neuen Erfindungen. Umbauten und Aufstockungen bieten die grosse Chance zu mehr Vielfalt im Stadtbild, zu architektonisch interessanten Projekten und zu räumlich spannenden Wohnungen. Sanierungen erhalten so eine neue Identität und die Identifikation der Nutzer und Nutzerinnen mit ihrem Lebensraum kann nur erhöht werden.

Beat Kämpfen, dipl. Architekt ETH/SIA, M. Arch. UCB, ist Co-Geschäftsführer und Partner bei kämpfen zinke + partner. Das Architekturbüro in Zürich ist seit 20 Jahren auf hochenergieeffiziente, nachhaltige Architektur, vorwiegend Bauten in Holz spezialisiert.
www.kaempfen.com

Illustrationsbild: Bild: iStockPhoto/ollo