Als Baumaterial ist Lehm nahezu überall auf der Welt verfügbar und einfach verwertbar. So hat der Lehmbau keineswegs nur in wärmeren, regenärmeren Regionen eine Tradition, auch in der Schweiz kann eine solche vorgewiesen werden.

Im Laufe der rasanten globalen Veränderungen des letzten Jahrhunderts wurde der Baustoff Lehm zunehmend durch industriell gefertigte Materialien verdrängt. Heute rückt das Thema der Nachhaltigkeit den Baustoff wieder in den Vordergrund. Dabei ist neben dem geringen Anteil an Grauer Energie und den hervorragenden bauphysikalischen Eigenschaften die lokale Verfügbarkeit des Baustoffes von Interesse. Weltweit sind zirka 35 Prozent des Endenergieverbrauchs auf den Bausektor zurückzuführen (Quelle: International Energy Agency (IEA): Transition to Sustainable Buildings. Paris, 2013.), unglaubliche Mengen an energetisch ungünstigen Materialien werden verbaut. Gleichzeitig entstehen jedes Jahr Millionen von Tonnen lehmhaltiges Aushubmaterial, für das unsere Bauindustrie keine Verwendung findet und das deshalb entsorgt werden muss. Warum also nicht diese ungenutzte Ressource verwenden, um damit zu bauen?

«Der Baustoff Lehm wird wieder aktuell.»

In seiner Praxis wie auch der Forschung und Lehre an verschiedenen Hochschulen, aktuell der ETH Zürich, lotet Roger Boltshauser das Potenzial des Materials – Möglichkeiten der Vorfabrikation und Chancen von Hybridkonstruktionen – aus. Im Buch «Pisé. Stampflehm – Tradition und Potenzial», erschienen im Triest Verlag, wurden die Ergebnisse daraus publiziert (ISBN 978-3-03863-027-2).

Lehm ist vielseitig einsetzbar

Bereits vor bald zwanzig Jahren entwarf und konstruierte Roger Boltshauser mit Stampflehm. Dabei interessierten ihn die ökologischen wie auch die räumlichen Qualitäten. Beim Schulpavillon Allenmoos II in Zürich beispielsweise bilden in Stampflehm gefasste Stützen eine Veranda und damit ein verbindendes Element zwischen den Klassenzimmern. Zudem wurden sämtliche Oberflächen in den Innenräumen mit Lehmputzen und Lehmkaseinböden versehen, regulieren so den Feuchtigkeitshaushalt und sorgen für Behaglichkeit.

Doch auch grössere Strukturen in Lehm sind möglich: Für die Studie „Case Study Steel House“ der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW antworteten Boltshauser Architekten auf die Frage nach der Zukunft des Stahlbaus mit dem Material Lehm. Während Stahl Zugkräfte gut aufnehmen kann, ist Stampflehm hauptsächlich auf Druck belastbar – so ergänzen sich die beiden so gegensätzlichen Materialien perfekt. Auf den Stampflehmwänden liegen Decken aus stählernen Spundwandprofilen mit einer Stampflehmfüllung. Dieses Grundgerüst trägt auf dem Dach Querträger aus Stahl, die beidseits über die Fassaden auskragen und an welchen die aussenliegenden Balkone hängen. Die Kombination von Stahl und Lehm bringt nicht nur interessante statische Systeme hervor, sondern auch einen neuartigen architektonischen Ausdruck, gebildet durch das Entwerfen mit dem Faktor Klima.

Aktuellstes Projekt ist ein Aussichtsturm mit Brennofen für das Ziegelei-Museum in Cham. Die dafür vorfabrizierten Lehmelemente wurden im Rahmen von Workshops mit Studierenden verschiedener Hochschulen erstellt, in Kombination mit Holz und Stahl und unter Vorspannung – einem im Studio Boltshauser entwickelten System zur Stabilisation von Hochbauten in Lehm – werden diese im Sommer 2020 zusammengebaut. Damit wird der zeitgenössische Lehmbau um eine Referenz, die Forschung um Messresultate und die nachhaltige Architektur um einen Fortschritt reicher.

Janina Flückiger studierte Architektur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Sie ist Mitautorin des Buches «Pisé. Stampflehm – Tradition und Potenzial» und arbeitet zur Zeit an der Werkmonografie der Boltshauser Architekten AG. Seit 2018 ist sie zudem Assistentin der Gastdozentur von Roger Boltshauser an der ETH Zürich. www.boltshauser.info