«In der Natur gibt es keinen Abfall.»

Die enormen Herausforderungen vor denen wir als Gesellschaft heute stehen, sind spürbarer denn je.

Der ungebremste Ressourcenverbrauch, die steigenden Abfallmengen, die zunehmenden Treibhausgasemissionen und der damit verbundene, voranschreitende Klimawandel machen deutlich, dass ein Umdenken in allen Bereichen des Lebens alternativlos ist. Mit der Zustimmung zur Klimagerechtigkeitsinitiative und zum Gegenvorschlag hat die Stimmbevölkerung vom Kanton Basel-Stadt mit Weitsicht entschieden bis 2037 klimaneutral zu werden und sich den damit verbundenen Aufgaben zu stellen. Das macht Mut.

Dem Bausektor, als einem der ressourcen- und energieintensivsten Wirtschaftszweige kommt in diesen Fragestellungen eine Schlüsselrolle zu. Doch wie lässt sich der Spagat zwischen Klimagerechtigkeit und vermeintlich fehlendem Wohnraum und anderen Nutzflächen bewerkstelligen?

Bestand ist wichtige Ressource

Der Gebäudebestand stellt in diesem Kontext eine der wichtigsten Ressourcen dar. Diesen gilt es zu erhalten beziehungsweise zu transformieren und in Wert zu setzen, um das bereits verbaute CO2 nicht frühzeitig wieder freizusetzen. Leerstehend oder unterbelegt bietet der Bestand ungenutzte Potenziale, die es durch die Kreativität der Planenden zu heben gilt. Aber auch die Politik ist gefragt Anreize zu schaffen, die uns Nutzerinnen und Nutzern den Weg aus der viel zu grossen in eine angemessene Wohnung erleichtert.

Bei der Transformation des Bestandes wird es darum gehen müssen, diesen ganzheitlich zu bewerten und nicht alleinig die Anforderungen, die ein Neubau erfüllen kann, anzusetzen. Wenn zudem Lebenszykluskosten betrachtet und die Umweltfolgekosten nicht länger externalisiert werden, sind spekulativer Abbruch und Ersatzneubau Themen von gestern.

Lösbare Herausforderungen

Doch wie lässt sich Bestand klimaneutral weiterbauen? In der Natur gibt es keinen Abfall. Dieser Denkschule folgend, aus der sich die Kreislaufwirtschaft entwickelt hat, lassen sich die Herausforderungen der baubedingten CO2-Emissionen, Ressourceninanspruchnahme und Abfallerzeugung weitestgehend lösen. Als zweiten grossen Hebel in der Frage «wie erreichen wir netto Null?» sehe ich daher die Wahl der Baustoffe und der daraus resultierenden Konstruktionen. Diese dürfen kein oder nur wenig CO2 emittieren, müssen nachwachsend, schadstoffarm, sortenrein, robust, langlebig, ressourceneffektiv sein und sich kreislaufgerecht fügen lassen. 

Naturbaustoffe wie Holz, Lehm, Stroh und andere Pflanzenfasern speichern über ihren Nutzungszyklus CO2 beziehungsweise lassen sich mit wenig grauer Energie herstellen. Holz lässt sich trocken fügen und dadurch sortenrein und zerstörungsfrei Rückbauen und direkt wiederverwenden. Sollte ein Bauteil das Ende des Lebenszyklus erreicht haben, besteht die Möglichkeit einer kaskadischen und damit einer langfristigen Nutzung des Materials. Lehm, als intrinsisch zirkulärer Baustoff kann einfach wiederverwendet oder durch die Zugabe von Wasser replasitifiziert und unendlich oft wiederverwertet werden. Wir werden daher zukünftig stärker auf Naturbaustoffe setzen müssen und sollten CO2 intensive Materialien wie Beton, deren Kreislaufpotenzial zudem gering ist, nur noch dort einsetzen, wo sie absolut notwendig
sind.

Dass das Bauen mit wiederverwendeten Bauteilen keine fixe Idee ist, zeigen in inspirierender Art und Weise die Projekte des Schweizer baubüro in situ. Hier werden schon heute Bauteile aus Abbruchprojekten «gerettet» und an anderen Orten wieder eingesetzt. Um das Prinzip der Wiederverwendung in die Breite zu bringen, haben sowohl der Kanton Zürich als auch Basel-Stadt unlängst Wettbewerbe ausgerufen, in denen den Planerteams ein Bauteilkatalog an die Hand gegeben wurde, aus denen das neu zu errichtende Gebäude entstehen wird. Diese Projekte werden hoffentlich andere Architektinnen und Architekten, Ingenieurinnen und Ingenieure beflügeln, sich auch in diesen Kreis zu
begeben.

Prof. Andrea Klinge,
Dipl.-Ing. Architektin BDA,
studierte Architektur an der TU Berlin und der London Metropolitan University. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf dem kreislaufgerechten, LowTech Bauen auf Basis natürlicher Baustoffe. Seit 2022 ist Andrea Klinge
Professorin für Zirkuläres Bauen an der HABG in Basel.

Illustrationsbild: © istockfoto/Julia Saplina