Klimaneutrale und kreislauforientierte bebaute Umwelt – hier und jetzt

Das «International Panel for Climate Change» (IPCC) legt dringend nahe, in den nächsten 20 Jahren CO2-Neutralität zu erreichen. Diese Herausforderung ist gigantisch und scheint schier unerreichbar zu sein.

Die bebaute Umwelt steht dabei unter hohem Druck, denn sie ist für 40 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Aber was sollen wir tun?

Es gilt, andere Wege zu finden

Was wäre, wenn wir uns entscheiden würden, mit dem zu leben, was wir haben, anstatt nach dem zu trachten, was wir nicht haben? Was wäre, wenn wir uns entscheiden würden, dass menschliche Aktivitäten unserem Planeten bereits genug Schaden zugefügt haben und wir uns darauf einigen würden, dass wir ihm nicht weiter schaden wollen? Aber was ist dann der Weg nach vorne?

Es kann keine wünschenswerte Zukunft sein, all unsere Aktivitäten anzuhalten. Die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie und in deren Folge der plötzliche Stillstand der Weltwirtschaft haben uns gezeigt, was es bedeutet, anzuhalten. Die weltweiten CO2-Emissionen sanken über das ganze Jahr 2020 betrachtet um fünf Prozent. Dabei ist es erstaunlich, dass dies genau das Szenario ist, das wir erreichen müssten, um den Empfehlungen des IPCC zu folgen. Das Ergebnis war also richtig, aber die Art und Weise wie wir es erreicht haben – nämlich nur aufgrund von Covid-19 –, ist untragbar für unser soziales und wirtschaftliches Wohlergehen.

Es ist daher von grundlegender Bedeutung, andere Wege und alternative Verläufe zu finden, die uns auf angemessene Weise zu einer klimaneutralen und kreislauforientierten bebauten Umwelt führen.

Kooperation statt Konfrontation

Wir sollten zunächst herausfinden, was möglich ist, im Hier und Jetzt, mit den Technologien, die wir bereits kennen, den Materialien, die wir zur Verfügung haben, und mit der kollektiven Intelligenz derer, die sich dafür einsetzen, der nächsten Generation eine bessere Welt zu hinterlassen.

Dabei bin ich der Meinung, dass ein gegenseitiger Kampf, einschliesslich des Gegeneinanderstellens von Baumaterialien, nicht zur notwendigen Emissionsminderung beiträgt, sondern die wenige Zeit verschwendet, die uns bleibt. Nur durch die Zusammenarbeit aller Beteiligten entlang der gesamten Wertschöpfungskette kann eine schnelle und kostengünstige CO2-Reduktion Wirklichkeit werden. Dabei zählt jeder einzelne Schritt, und alle müssen einen Beitrag leisten.

«Material-Diät» statt Materialkrieg

Wir haben bereits gezeigt, dass die CO2-Emissionen von Beton um mehr als 50 Prozent reduziert werden können, wenn jeder macht, was er gut kann. Dies bindet den Zementhersteller ein, aber auch insbesondere alle anderen Akteure, wie beispielsweise den Betonhersteller, den Statiker, das Abbruchunternehmen und den Abfallentsorger.

Darüber hinaus haben wir gezeigt, dass anstatt die Bauweise mit mineralischen Dämmstoffen der Bauweise mit natürlichen Dämmstoffen gegenüberzustellen, es vorteilhafter wäre, Synergien zu finden, bei denen beispielsweise eine Fassade aus Strohballen in Holzrahmenbauweise die CO2-Emissionen der optimierten und kohlenstoffarmen Betonstruktur direkt kompensiert. In diesem Fall wäre das Gebäude mit den verwendeten Materialien bereits im Erbauungsjahr klimaneutral. Hier und jetzt.

Es ist die angemessene Kombination von Materialien, Technologien und Synergien zwischen den Akteuren, die es ermöglicht, innerhalb kürzester Zeit klimaneutrale und kreislauforientierte Gebäude zu schaffen. Dazu braucht es keinen Materialkrieg, sondern vielmehr die Förderung einer guten «Material-Diät». Es bleibt keine Zeit, um auf ein Wundermittel zu warten, das uns alle retten wird. Dieses Wundermittel gibt es nicht. Oder wenn doch, dann kommt es zu spät.

Prof. Dr. Guillaume Habert ist seit August 2012 ausserordentlicher Professor für nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich. Er ist ausgebildeter Geologe und hat in den letzten zehn Jahren Strategien zur Reduzierung des Carbon Footprint in der Bauindustrie entwickelt. Sein besonderes Interesse ist für Beton, Aushub und biobasierte Materialien.

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