Um Netto-Null bis 2050 zu erreichen, müssen wir im Hochbau vollständig auf Stahl und Beton verzichten

Die Herstellung eines Kubikmeters Stahlbeton verursacht rund 500 Kilogramm CO2-Ausstoss, das ist etwa gleich klimaschädlich wie 5000 Flugkilometer. Darum müssen wir sofort aufhören, Beton zu verbauen.

Der Holzbau boomt. Öffentliche und private Bauherrschaften setzen auf Holz, und die Holzbauprojekte werden immer grösser. Erstaunt Sie das?
Stefan Zöllig: «Der Holzbau boomt, das freut mich – aber erstaunt mich keineswegs. Denn es spricht alles für Holz als Baumaterial: Holz ist warm, Beton ist kalt, Holz ist vom ersten Tag an trocken, Beton ist nass, Holz ist leicht und sauber, Beton ist schwerfällig und schmutzig, Holz lässt sich sehr schnell verbauen, Beton ist langsam. Bei einem grossen Wohnprojekt in Winterthur waren wir sechs Monate früher fertig als geplant. Das macht am Ende mehr als drei Millionen Franken aus. In puncto Brandschutz ist Holz heute ebenso sicher wie Beton. Vor allem aber verursacht Beton CO2-Emissionen, Holz speichert dagegen das Treibhausgas, eine ganze Tonne pro Kubikmeter.»

Wie sieht die CO2-Bilanz genau aus?

«Ein Kubikmeter Holz entlastet die Atmosphäre durch Fotosynthese um rund eine Tonne CO2. Einen Kubikmeter Holz zu verbauen, kompensiert ungefähr 10 000 gefahrene Autokilometer. Die Herstellung eines Kubikmeters Stahlbeton hingegen verursacht rund 500 Kilogramm CO2-Ausstoss. Die CO2-Speicherung wurde lange Zeit auch in den Nachhaltigkeitsnormen ausgeblendet. Die Messlatte im Sinne von Best Practice muss heute die CO2-Speicherung sein.»

Beton ist druckfest und sehr flexibel, man kann ihn auch in jede Form giessen. Was ist mit Holz möglich – und was noch nicht?

«Unglaublich, aber wahr: Die Druckfestigkeit von Holz in Längsrichtung ist gleich gross wie die von Beton. Tatsächlich ist die Möglichkeit, Beton in jede Form zu giessen, toll. Das geht mit Holz nicht. Aber wie oft nutzen wir diese Möglichkeit wirklich? Bislang hatte der Beton aber einen grossen Vorteil: grossflächige Skelettstrukturen. Heute kann das Holz dank der TS3-Technologie auch. Die Technologie ist das Resultat aus über zehn Jahren Forschung und Entwicklung zusammen mit der Berner Fachhochschule und der ETH Zürich. Heute ist die Technologie marktreif und eine echte Alternative zum Stahlbeton. Kernstück ist die Idee, Holzbauteile stirnseitig zu verkleben. In der Timbagroup haben wir dafür seit 2014 jährlich rund eine Million Franken in Forschung und Entwicklung investiert.»

Wo kommt diese Technologie zum Einsatz?

«Hauptsächlich bei Geschossdecken. Im bernischen Grossaffoltern haben wir die weltweit ersten Mehrfamilienhäuser mit der TS3-Technologie gebaut. Mittlerweile konnten wir 15 Projekte mit rund 6’000 Quadratmetern Fläche realisieren – nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Österreich, Kanada und den USA. Dieses Jahr werden weitere rund 10’000 Quadratmeter dazukommen.»

Auch wenn die Geschossdecken ohne Stahl und Beton auskommen, der vollständige Verzicht auf diese Materialen ist nicht möglich.

«Das ist falsch! In Thun bauen wir aktuell das schweizweit erste Mehrfamilienhaus mit einem Keller aus Holz. Hier war und ist viel Entwicklungsarbeit nötig, vor allem bei der statischen Abtragung des Erddruckes sowie bei der Abdichtung gegen Feuchtigkeit. Als Holzbauer waren wir ja immer stolz, etwas fürs Klima zu tun. Allerdings war der grösste Teil des Volumens im Keller, und da hatten wir keine Lösung. Das Thuner Projekt kommt vollständig ohne Stahlbeton aus. Zusätzlich konnten wir 130 Tonnen CO2 im Holz speichern. Wir haben bereits mehrere Anfragen und werden ein Innosuisse-Forschungsprojekt dazu durchführen.»

Stefan Zöllig ist Gründer und Mitinhaber der Firmen Timbatec und TS3 und gilt als einer der wichtigsten Innovationstreiber der Holzbranche. Unter dem Dach der 2014 gegründeten Timbagroup Holding mit aktuell drei Tochterfirmen strebt das Unternehmen ein starkes Wachstum in der EU, den USA und Kanada an.
www.timbatec.comwww.ts3.biz