Neben dem hohen Interesse für eine ökologische Bauweise hat eine gute Architekturkultur offensichtlich an Wert verloren.

Sichtbar wird dies am Rückgang offener Wettbewerbe, bei denen sich auch junge Architekturschaffende beweisen können und – unter Wahrung der Anonymität – eine reale Chance gegenüber etablierten Büros haben. Waren es im Jahr 2013 noch 86 offene Wettbewerbe, sind es seit 2016 nur mehr knapp über 50 pro Jahr.

Immer häufiger wählen Auslober ein selektives Verfahren, das die Teilnehmer eines Wettbewerbs über bereits realisierte Referenzprojekte selektioniert. Dies hat massgebende Auswirkungen auf unsere Baukultur, auf die Nachwuchsförderung und auf den Innovationsgrad.

Architektur beeinflusst Nachhaltigkeit

Architekturqualität trägt, neben messbaren ökologischen und energetischen Faktoren, wesentlich zur Nachhaltigkeit bei. Raumproportionen, Grundrisstypologien, Fenstergrössen, Sonnenschutz und viele weitere architektonische Faktoren spielen eine entscheidende Rolle.

So kann eine Reduktion der Wohnfläche nicht nur aus der Realisation kleinster Räume erfolgen, sondern durch deren präzise Konzipierung. Eine Raumnische im grosszügigen Schlaf- oder Wohnraum wird zu einem Arbeitsplatz und ersetzt damit ein zusätzliches Bürozimmer, das deutlich mehr Quadratmeter konsumieren würde. Hohe Räume bringen viel Licht und ermöglichen den Einbau eines Hochbettes oder Podestes mit integriertem Stauraum, was wiederum flächensparend ist.

Die Nachhaltigkeit eines Gebäudes wird also nicht nur durch technische Lösungen und ökologischer Materialwahl, sondern auch durch gute Architektur deutlich beeinflusst.

Aus alten Konzepten lernen

In alten Bauten können wir zahlreiche wertvolle Konzepte entdecken. Als weniger Energie zur Verfügung stand, wurde auch energiesparender gebaut. Grundrisse, bei denen nicht jeder Raum die komfortable Temperatur von 21 Grad Celsius aufweisen musste, nutzten niedrig temperierte Räume als Puffer und räumliche Dämmschicht.

Solch intelligente Systeme können, neu interpretiert, grossen Einfluss auf den Energieverbrauch eines Gebäudes haben. Die zunehmend übergrossen Fensteröffnungen, die eigentlichen Schwachstellen der Gebäudehülle, können reduziert werden, ohne dabei Licht- und Raumqualität einzubüssen. Ursprüngliche Vordächer, deren Untersichten mit heller Farbe versehen sind, wirken als Reflektor für Tageslicht und bringen auch bei kleineren Öffnungen Licht in die Tiefe des Raumes. Im Sommer ist dabei durch Verschattung der Wärmeschutz gewährleistet, ohne dass eine Sonnenstore die Aussicht einschränkt.

Wettbewerbswesen kränkelt

Mit dem SNBS (Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz) werden seit 2016 erstmals auch die Themen Architektur und Städtebau in einer Zertifizierung integriert. Die Schwierigkeit, architektonische Qualitäten zu beurteilen und zu fördern, wird dabei deutlich.

Ein wichtiger Motor für Innovation, Architekturqualität und eine stetig nachwachsende kompetente Architekturgeneration ist unbestritten unser offenes Wettbewerbswesen. Leider kränkelt es. Auslober werden durch hohe Teilnehmerzahlen abgeschreckt – die Zahlen wiederum resultieren aus dem geringen Angebot an offenen Wettbewerben. Eine Sensibilisierung auf allen Ebenen, genauso wie diese für die ökologische und energiesparende Bauweise stattgefunden hat, würde den Teufelskreis durchbrechen und den Diskurs der Nachhaltigkeit weiterführen – denn eine gesunde Architekturkultur ist ein ebenso wichtiger Faktor des nachhaltigen Bauens!

Sonja Huber, dipl. Architektin EPFL/SIA ist als selbständige Architektin in praktischen Bauaufgaben tätigt und befasst sich regelmässig mit theoretischen Fragestellungen in textlicher oder entwerferischer Form.
Bettina Gubler, dipl. Architektin EPFL ist als Architektin in der Praxis tätig und unterstützt als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Architektur an der Berner Fachhochschule die Studierenden in entwurfstheoretischen Aufgaben.
Illustrationsbild: © Amt für Städtebau, Stadt Zürich, Juliet Haller