Die Umsetzung von Massnahmen zur Erreichung der Agenda 2030-Nachhaltigkeitsziele ist dringend. Dazu braucht es aber auf allen Ausbildungsstufen interdisziplinäre und ganzheitliche Bildungsangebote. Speziell in der höheren Berufsbildung sind diesbezüglich erhebliche Lücken festzustellen.

Die materielle Ressourcenknappheit, die zunehmenden Folgen der Erderwärmung und die schwindende Biodiversität stellen unsere Gesellschaft vor erhebliche Herausforderungen. Dies betrifft insbesondere auch die Schweizer Bauwirtschaft, die rund 50 Prozent der Ressourcen und 50 Prozent der Primärenergie nutzt. 30 Prozent der CO2eq-Emissionen stammen aus dem Betrieb von Gebäuden. Bauplätze sind heiss begehrt, da gemäss BFS rund 17 000 Quadratkilometer unserer Landesfläche landwirtschaftlich genutzt und knapp 4 200 Quadratkilometer durch Bauwerke versiegelt werden. Beide Nutzungen stehen in harter Konkurrenz zur Biodiversität, zum Erholungsraum und zur Gewinnung von Baumaterialien. Massnahmen sind erforderlich, auch von der Bauwirtschaft. Die Frage ist nur: „Welche Massnahmen sind zu treffen und wie sind die Prioritäten zu setzen?“

Nachhaltigkeitskompetenzen sind unumgänglich

Vielen Planenden sind sowohl die Problemstellung als auch spezifische bauliche Massnahmen bekannt. In der Berufsbildung wird aber umfassendes Nachhaltigkeits-Wissen kaum vermittelt. Obwohl unser duales Bildungssystem hervorragende Fachkräfte hervorbringt, gibt es keine fächerübergreifenden und integrale Bildungsinhalte zum Thema «Nachhaltiges Bauen», die in jedem Berufsfeld enthalten sind. Es fehlen nachweislich Fachkräfte, welche die grossen Zusammenhänge des nachhaltigen Bauens kennen. Nicht nur das, ein optimaler Bauprozess erfordert eine intensive Zusammenarbeit der Planenden mit den ausführenden Unternehmen über den gesamten Planungs- und Bauprozesses hinweg. Diese Zusammenarbeit wird wesentlich erleichtert, wenn ein gemeinsames Verständnis nachhaltiger Baukultur besteht.

Neue Haltungen sind gefragt

Nachhaltiges Bauen ist komplex und umfassend. Investoren und Auftraggeber, die Planenden und die ausführenden Fachleute, BewohnerInnen und Arbeitnehmende bestimmen oder beeinflussen, wie ein Gebäude erstellt und genutzt wird. Die einen orientieren sich an der Rendite, setzen rasch und billig um. Anderen ist das Wohlergehen der Nutzenden wichtig, weshalb sie langfristig planen und eine qualitativ hochstehende Ausführung bevorzugen. Der Betrieb und damit der Energieverbrauch sowie der CO2eq-Ausstoss werden aber massgeblich durch die Nutzenden beeinflusst. Während des gesamten Bau- und Nutzungsprozesses entscheidet immer der Mensch. Und alle Entscheidungen basieren auf Werten und Normen, die für uns persönlich und in unserer Gesellschaft gelten. Werthaltungen sollten daher vermehrt ins Bewusstsein der Baufachleute rücken.

«Nachhaltiges Bauen benötigt ein breites Umdenken in der Baubranche.»

Nachhaltiges Bauen benötigt ein breites Umdenken in der Baubranche. Neben den fachlichen und den persönlichen Kompetenzen aller Beteiligten sind auch ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Sprache entscheidend für den Erfolg eines Bauvorhabens. Eine koordinierte interdisziplinäre Weiterbildungsplattform für nachhaltiges Bauen könnte dazu die Grundlage legen. Diese Koordinationsarbeit bedarf der Unterstützung durch die Berufsverbände, die Unternehmen und die öffentliche Hand. Eine solche Public-Private-Partnership könnte grosse Synergien und eine skalierbare sinnvolle Lösung für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt darstellen. Die Umsetzung der Agenda 2030 ist nur mit interdisziplinären Massnahmen zu realisieren.

Dr.Thea Rauch-Schwegler, Präsidentin und Dozentin beim Bildungszentrum Baubiologie (www.baubio.ch/bildung), ehem. wiss. Mitarbeiterin des D-ARCH, ETHZ, Stiftungsrätin in verschiedenen Organisationen (www.rauchconsulting.org).
Illustrationsbild: Überbauung Rossweid, Gockhausen-Dübendorf Dachtler Partner AG Architekten, Foto: © Daniel Sutter